Dienstag, 18. Januar 2011

Fassade

Erst gestern habe ich mich gewundert, wie eine Organisation funktionieren kann, in der die Personen ab einer bestimmten Hirarchiestufe sich gegenseitig belügen. Ich habe da dann mit einem Kollegen drüber gesprochen. Er nannte das Diplomatie. Ich bin da vollkommen anderer Meinung. Ich finde, Diplomatie muss nichts damit zu tun haben, die Unwahrheit zu sagen oder die Wahrheit zu verschweigen.

Was mir nicht klar ist: Wenn ab dieser Hirarchiestufe mehrheitlich "gelogen" wird, wissen dann diese Menschen davon, dass sie sich gegenseitig belügen? In dem gestern geschilderten Fall muss das offensichtlich so sein. Sie hatten sich ja vorher abgesprochen. Und wenn sie schon wissen, dass sie sich belügen, kennen sie dann auch die "wahre" Botschaft?

Wenn dem so ist, dann sind die Lügen, die sie sich erzählen eigentlich gar keine Lügen mehr, ausser sie erzählen diese Lügen anderen Leuten, die die "wahre" Botschaft nicht kennen. Aber im Prinzip spielen die Leute dann eher Theater. Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht habe ich jetzt erst erkannt, was der Unterschied zwischen Privat- und Geschäftsperson ist.

Jetzt stelle ich mir mal folgendes Szenario vor: In einer Firma soll analysiert werden, wie effizient innoviert werden kann. Aus diesem Grund erlässt der Chef auf der höchsten Hiratchieebene den "Befehl": "Macht Lean-Innovation-Workshops!" Er tut dies jedoch nicht, weil er das selbst will, sondern er tut dies, weil die Aktionäre sehen wollen, dass ihr Geld gut angelegt ist. Aber eigentlich steht er nicht dahinter.

Was ist die Folge? Die Mitarbeiter unter ihm (auch noch Chefs, aber nicht mehr so hohe) veranlassen die Durchführung der Workshops. Entsprechend weit runter blubbert dieser Befehl, jedoch hat keiner, der ihn empfängt, wirklich Lust, ihn auch auszuführen und ehrlich zu analysieren, wie gut innoviert wird. die Maßname ansich ist eine tolle Sache, aber keiner hat Interesse, sie durchzuführen, da - jetzt wird es persönlich - er befürchtet, dass seine Fehler (die er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch gemacht hat) drohen, ans Tageslicht zu kommen.

Aber alle müssen mitmachen, weil sie schräg angesehen werden, wenn sie es nicht tun. "Wieso machst Du nicht mit? Bist Du nicht daran interessiert, unsere Firma zu optimieren? Was hast Du zu verbergen?". Mit dem schräg ansehen von nicht kooperationsbereiten anderen Menschen kann man nämlich sehr gut von dem eigenen Nicht-Kooperieren ablenken....

Sie machen es also alle mit. Bei den verordnete Workshops belügen sie sich und melden nach oben, dass alles bestens ist. Sie loben sich gegenseitig in den Himmel, um sich das durch die Schandtat verloren gegangene Selbstbewußtsein auf einfach Art und Weise wieder zu beschaffen.

Es wird nichts passieren. Der höchste Chef bekommt die Meldung: "Alles optimal!" und freut sich, dass er den Aktionären melden kann, dass ihr Geld gut angelegt ist. Er hat auch gar kein Interesse, schlechte Botschaften zu überbringen, denn dann wäre ja auch er - der er alles verantwortet - plötzlich in der Kritik und müsste sich fragen lassen, wieso unter seiner Leitung solche Mißstände vorhanden sind.

Ich glaube, ich habe jetzt verstanden, wie eine Organisation von sich belügenden Menschen funktioniert. Zumindest habe ich ein konsistentes Bild. Gestern habe ich mich darüber noch geärgert, aber heute nicht mehr. Ich weiss jetzt, was ich von den Chefs in einer solchen Organisation zu halten habe. Ich will auch nicht behaupten, dass alle so sind, sicherlich gibt es den einen oder anderen, der sich wirklich verantwortlich fühlt. Ich kenne sogar welche. Aber die haben sicherlich ein schweres Leben. Und wenn ich ein Chef wäre, dann hätte ich das auch.

Keine Kommentare: